Der Ramadan - ein Monat voller Möglichkeiten

Wer schon einmal das Glück hatte (oder das Unglück – je nach Sichtweise), den Ramadan in einem konservativen arabischen Staat zu erleben, weiss, wie ernst das Fastengebot eingehalten wird. Keiner, der sich bei Tageslicht mit einem Stück Brot in der Öffentlichkeit zeigen würde; kaum einer, der es wagt, dem stündlich stärker werdenden Knurren seines Magens noch vor Sonnenuntergang nachzugeben.

Marek Symank

Öffentlich fasten
Dass die Gläubigen ihr Fasten und somit ihre Religiosität so offen demonstrieren, mag manch einen Christen auf den ersten Blick wenig demütig anmuten. Lehrt nicht Christus selbst in der Bergpredigt, dass wir unser Fasten (ebenso wie unser Gebet) nicht zur Schau stellen sollen? Nun mag es natürlich sein, dass einige Muslime tatsächlich bewusst mit ihrer Strenggläubigkeit prahlen wollen. Sei es, um Eindruck zu schinden (bei Gott oder – wohl häufiger – bei den Menschen), sei es aus Eitelkeit. Tatsache ist aber auch, dass viele Muslime, vielleicht sogar die Mehrheit, ihr Fasten aus sehr ehrlichen und «natürlichen» Gründen in die Öffentlichkeit tragen.

Glaube im Alltag
Religion gehört für sie zum Alltag. So wie Atmen und Arbeiten, wie Schlafen und Essen. Für den durchschnittlichen Europäer, der Gott in die allerhinterste Ecke seiner Privatsphäre verdonnert hat (und ihn nur selten – und nur in Notfällen – dort aufsucht), ist das ein ungewöhnlicher Gedanke. Mehr noch: Ein, wie ihm scheint, beunruhigender Gedanke. Ein Gedanke, der seiner Ansicht nach zu Gewalt und Fanatismus führt. Ein Gedanke aber, der uns gläubigen Christen bekannt, vertraut und vor allem richtig erscheinen sollte.

Vorbildlich
Jesus selbst lebte seine Beziehung zum Vater sowohl privat als auch in aller Öffentlichkeit. Und genauso hielten es seine Jünger. Der Tempel, in dem sie sich zum Beten trafen, war keineswegs in ihrem Privatbesitz (ohnehin ein Fremdwort für sie), sondern ein öffentliches Gebäude. Paulus machte aus seinem Gelübde in Jerusalem keinen Hehl, liess er sich doch für alle sichtbar die Haare schneiden.

Keine Heuchelei
Was die Bibel jedoch nicht gut heisst, ist vorgetäuschte Religiosität. So wie es die sprichwörtlichen Heuchler schlechthin, die Pharisäer, zu tun pflegten. Nach aussen fromm, in Wahrheit gottlos. Weiss getünchte Gräber. Und so ist auch die anfangs erwähnte Stelle aus dem Matthäusevangelium zu verstehen. Jesus möchte uns vor Heuchelei und vor falscher, aufgesetzter Frömmigkeit bewahren. Keineswegs jedoch möchte er unseren Glauben aus dem öffentlichen Leben verbannen – mal abgesehen von der Tatsache, dass es ohnehin fast unmöglich ist, gänzlich unbemerkt zu fasten.

Gott sieht das Herz
Wie viele der fastenden Muslime nun aus aufrichtigen Motiven handeln oder eben nicht, ist eine müssige Frage. Nur Gott sieht in die Herzen; wir müssen, können und dürfen kein Urteil abgeben. Dass aber andere Menschen ihren Glauben an Gott als etwas Natürliches und Alltägliches auffassen, sollte uns als Christen freuen. Wir sollten es als Gott gegebene Chance zum Gespräch auffassen. Wie schwer scheint es uns doch allzu oft, mit Nichtchristen über unseren Glauben ins Gespräch zu kommen, wie übergross scheint ihr Desinteresse an allen religiösen Fragen zu sein.

Muslimen begegnen
Um wie viel leichter ist es dagegen, mit Muslimen aus aller Welt und in aller Welt eine Diskussion über Gott zu starten. Wir brauchen uns nicht erst über Monate kennen zu lernen, bis wir endlich den ersten vorsichtigen Versuch starten, Gott über unzählige Umwege ins Gespräch einzuflechten. Im Ramadan beten Muslime öfter und intensiver als sonst um Gottes Führung. Wir als Christen müssen die Möglichkeit, die sich bei uns in der Schweiz durch die vielen Flüchtlinge, Asylanten, Zugezogenen und zu Mitbürgern gewordenen aus der gesamten muslimischen Welt bietet, wahrnehmen.

Unsere Chance
Suchen wir den Kontakt, das Gespräch! Für einmal müssen wir keine Angst haben, dass uns der Gesprächspartner schief ansieht, wenn wir Gott erwähnen. Für einmal haben wir einen Gesprächspartner, dem das Thema ebenso vertraut ist wie uns. Ganz besonders möchte ich die Gebetsinitiative «30 Tage Gebet für die islamische Welt», welche immer während des Ramadan stattfindet, empfehlen. Nutzen wir die Chance!

Markus Frauchiger