Die Nacht der Macht und der Bestimmung (Lailat ul-Qadr)

Nach islamischer Tradition wurde die erste Sure (Sure 96) des Korans in einer der letzten zehn Nächte des Ramadan, in der «Nacht der Macht» herabgesandt (Sure 2,185).

Hintergrund dieses Festes
Eine Überlieferung besagt, dass eine Nacht des Ramadan besser sei als tausend Monate, denn in ihr öffnen sich die Himmelstore und die Engel steigen herab (Sure 97). Wer im Ramadan in Mekka fastet und betet – so eine weitere Überlieferung - der erhält von Gott so viel Sündenvergebung wie durch das Einhalten von hunterttausend Monaten Ramadanfasten. Weil in einer der Nächte zum Ende des Ramadan der Koran herabgesandt worden sein soll, sind fromme Muslime in den letzten zehn Nächten des Monats besonders bemüht Gutes zu tun, im Koran zu lesen und zu beten, um spezielle Segenskraft und Lichtfülle zu erfahren. Viele Muslime versuchen besonders im Fastenmonat mit ganzem Einsatz rechtschaffen zu sein und Gutes zu tun. Hunger, Durst und Müdigkeit zu erleiden ist es ihnen wert, um Allahs Wohlwollen zu erlangen.

 

Heilsunsicherheit hat Auswirkungen
Die ständige Sorge, nicht genug oder nicht das Richtige zum besten Zeitpunkt getan zu haben, spiegelt die Grundangst in Bezug auf die Frage der Erlösung wieder. Trotz aller Bemühungen wissen die Muslime nicht, ob ihre Sünden vergeben sind und kein Muslim kann sicher wissen, was ihn nach seinem Tod erwartet. Diese Heilsunsicherheit hat Auswirkungen auf das ganze religiöse Denken und Handeln. Schon den kleinen Kindern wird gelehrt, dass Allah allwissend und allmächtig sei. Am Ende des Lebens werde er die guten und die bösen Taten eines jeden Menschen gegeneinander aufwiegen und danach souverän entscheiden, ob der Betreffende ins Paradies kommt oder die Qual des Höllenfeuers erleiden muss.

Fromme Muslime setzen alles daran, durch Gebete, Fasten während des Ramadans, Almosen, durch die Pilgerfahrt nach Mekka und verdienstvolle Taten Allahs Wohlgefallen zu erlangen oder in der «Nacht der Macht» den besonderen Segen zu erhalten. Um diesen Segen zu empfangen, versammeln sich die muslimischen Männer in der Moschee. Dort beten sie, in weiss gekleidet, die ganze Nacht hindurch und hoffen, dass Allah in dieser Nacht ihre Anliegen hören wird.
Die meisten Muslime sind tief bewegt, wenn wir ihnen bezeugen dass wir sicher sind, in den Himmel zu kommen, da Jesus unsere Sünden weggewaschen hat.

 

Die «Nacht der Macht» und «Weihnachten»?
Die «Nacht der Macht» hat für den Islam heilsgeschichtliche Bedeutung. Deshalb kann man sie mit Weihnachten vergleichen. So wie für Christen mit der Geburt Jesu das erlösende Heilshandeln Gottes für die Menschheit beginnt, so sehen Muslime die Herabsendung des Korans als Gabe, mit der Allah die Menschen zu einem ihm gefälligen Leben anleiten und somit ihr Heil ermöglichen will.

 

Unterschiedlicher Mittelpunkt
Im Mittelpunkt des Islam steht neben Gott der Koran, also ein Buch, das aus der Ewigkeit in die Welt gesandt wurde. Im Mittelpunkt des Christentums steht neben Gott Jesus Christus, eine Person, die aus der Ewigkeit in die Welt gesandt wurde. Die Bibel selbst bezeugt in Hebräer 1,1-2: «Nachdem Gott vorzeiten vielfach und auf vielerlei Weise geredet hat zu den Vätern durch die Propheten, hat er in diesen letzten Tagen zu uns geredet durch den Sohn.» Muslime feiern an hohen islamischen Feiertagen die Herabsendung des Korans, das Christentum jedoch kennt keinen Feiertag für die Bibel sondern nur für Jesus.

 

Gott als Autor
Der Koran kennt nur Gott als Autor und Mohammed als Empfänger der Botschaft, dessen Persönlichkeit bei der Offenbarung völlig ausgeschaltet war. Nach muslimischer Überzeugung ist der Koran seit Ewigkeit im Himmel aufbewahrt und innerhalb von 22 Jahren offenbart worden. Dass im Koran viele Verse enthalten sind, in welchen offensichtlich nicht Gott direkt spricht sondern Mohammed, stellt ein grosses Problem für die muslimischen Theologen dar. Ein anderes Problem ist das Konzept der Abrogation, d.h. dass Verse korrigiert und ersetzt werden. Es heisst in Sure 2,106 «Wenn wir Verse (im Koran) abschaffen oder vergessen, so geben wir bessere, oder doch gleich gute dafür. Weisst du denn nicht, dass Gott allmächtig ist?» Es ist unverständlich, weshalb es Gott für nötig findet, nachdem er eine Heilige Schrift offenbart hat, einige Verse wieder zu ändern. Für Christen ist die Bibel Gottes zuverlässiges Wort. Sie hat viele unterschiedliche Persönlichkeiten als Verfasser und berichtet von deren ganz persönlicher Geschichte mit Gott. Der Heilige Geist überwachte ihre Niederschrift und wacht über ihrer Überlieferung. Er macht das geschriebene Wort jeweils neu als Gottes Wort lebendig. Es bleibt in Ewigkeit Gottes gültiges Wort und wird nicht durch spätere Schriften korrigiert oder ergänzt.


Koran - Jesus
Nicht die Bibel sondern Jesus ist das Gegenüber zum Koran. Was Jesus für das Christentum ist, das ist der Koran für den Islam. Als Christen glauben wir an die Menschwerdung des Wortes Gottes, während die Muslime die Buchwerdung des Wortes Gottes feiern. Im Islam steht Mohammed unter der Heiligen Schrift; er erhält seine Bedeutung von der Schrift, da er ihr Empfänger und Verkündiger ist. Die Zeitgenossen Mohammeds forderten Wunder als Bestätigung, dass er von Gott gesandt war, er verwies im Koran (Sure, 11,13;10,37.38) darauf hin, dass das Wunder des Korans der einzige Beweis seines Prophetentums sei.

Im Christentum steht Jesus über der Heiligen Schrift. Sie erhält ihre Bedeutung von Ihm. Christen haben erkannt, dass sich Gott nicht nur in seinem geschrieben Wort der Bibel offenbart, sondern vor allem in Jesus Christus (siehe Joh.1,1/14) «Der Christliche Glaube ist keine 'Buchreligion' sondern eine Religion des Wortes Gottes, des menschgewordenen lebendigen Wortes.» (Weltkatechismus).

Dieser Tag ist eine besondere Herausforderung für uns Christen die Muslime lieben, dass wir gerade an diesem Tag für sie einstehen. Beten wir, dass an diesem Tag, an welchem Muslime so viel von Gott erwarten, er sich ihnen als der himmlische Vater offenbart, der uns in Jesus erlöst hat.

Markus Frauchiger